Tanya Stewner: Liliane Susewind - So springt man nicht mit Pferden umBuchbesprechug

 

 

Lebensnah und überwirklich, schmerzhaft und zauberhaft schön – so lässt sich Tanya Stewners Roman "Liliane Susewind – So springt man nicht mit Pferden um" beschreiben.

 

In Band 5 der Reihe um das wundersame Mädchen, das mit Tieren reden kann, bekommt Lilli nach den Sommerferien eine neue Schulkameradin: Wolke Jansen, ein schüchternes Mädchen, das sich gleich zu Beginn den Spott einiger Mitschüler gefallen lassen muss, die sich über ihren Vornamen und ihre Schuhe lustig machen. Wolke scheint das ideale Mobbing-Opfer für einige Schüler zu sein. Doch Lilli und Jesahja, der hochbegabte Nachbarsjunge und „Star“ der Schule, der in der Pause von einer Schar Jungen und Mädchen umgeben ist, stehen Wolke bei und helfen ihr gegen die Anfeindungen der Mitschüler.

 

Wolkes Mutter Annabell und ihre Lebensgefährtin Slavika haben einen Reiterhof geerbt. Das Mädchen lädt Lilli und Jesahja ein, sie zu besuchen. Liliane Susewind, die unbedingt reiten lernen möchte, sagt sofort zu und radelt noch am gleichen Tag mit ihrem Freund zum Jansen-Hof. Die Pferde zeigen die Reaktion, die alle Tiere beim Anblick Lillis an den Tag legen: Sie sind von dem rothaarigen Mädchen begeistert. Vor allem ein großer Schimmel, Merlin, kann gar nicht mehr von Lilli lassen. Wolke ist irritiert von dem Tumult, der sich vor ihren Augen ereignet, und als Liliane ihr von ihrer besonderen Gabe berichtet, kann sie es kaum glauben.

 


Der Jansen-Hof hat mit einem ernsten Problem zu kämpfen: Es gibt kaum Reitschüler. Damit fehlt das Geld, um die renovierungsbedürftigen Gebäude in Stand zu setzen. Die letzte Hoffnung ruht auf einem Springpferd, einem Hengst mit Namen Storm. Er wird von Egobert – der Name ist hier Programm - trainiert, der mit dem Tier Turniere gewinnen soll, damit das Geld hereinkommt, um den Hof zu retten.

 

Der Hengst hingegen hasst die Menschen, vor allem aber Egobert, wie Lilli erschrocken feststellt. Storms Widerwillen hat einen Grund: Egobert quält das Tier. Er schlägt es mit der Gerte und schmiert die Vorderläufe mit einer Wärmesalbe ein, was Storm furchtbare Schmerzen bereitet, wenn er eine Stange reißt. Lilli und Jesahja sind entsetzt und machen die Jansens auf Egoberts Verhalten aufmerksam, was schließlich dazu führt, dass die beiden Frauen den Tierquäler vor die Tür setzen. Für den Hof allerdings sieht die Situation nun noch schlimmer aus.

 

In einer Nacht reitet Lilli mit Merlin über die Koppeln und verwandelt die Wiesen, die völlig vertrocknet sind, in eine saftige Landschaft aus frisch gewachsenem Gras und blühenden Blumen. Immerhin haben die Pferde nun ausreichend zu fressen. Auch Storm, der durch Menschenhand so viel Schlimmes erfahren musste, erkennt in Lilli das Besondere und fasst Vertrauen: Tom, Wolkes Bruder, darf ihn fortan reiten.

 

In der Schule indes muss Wolke noch einmal eine schwierige Situation überstehen: Zwei Mädchen aus der Klasse, Gloria und Viktoria, haben ihr die neuen Schuhe und einen Anhänger abgenommen. Wolke indes besitzt nicht den Mut, zu ihrem Klassenlehrer zu gehen und ihn um Hilfe zu bitten. Stattdessen ist es ausgerechnet Trixi Korks, Lillis Intimfeindin, die die Angelegenheit in der Klasse öffentlich macht und für Gerechtigkeit sorgt.

 

Schließlich nehmen Lilli, die Merlin reitet, und Tom, der Storm durch den Parcours führt, doch noch an einem Reitturnier teil. Doch auch Egobert will mit dem Pferd eines anderen Besitzers in den Kampf um den Turniersieg eingreifen. In diesem Wettbewerb kommt es schließlich zur Entscheidung in der Auseinandersetzung zwischen Egobert auf der einen und Lilli, den Jansens und den Pferden auf der anderen Seite. Egobert treibt sein Pferd – Schnee – so unbarmherzig voran, dass es ihn schließlich abwirft. Egobert verliert vollständig die Kontrolle und schlägt auf Pferd und Menschen ein. Die Polizei greift ein und verhaftet ihn.

 

Tanya Stewner beschreibt in ihrem Buch eine besonders hässliche Seite des Umgangs des Menschen mit den Tieren. Im Turniersport werden Pferde zu Höchstleistungen gedrillt. Dass nicht immer das Wohl des Tieres im Vordergrund steht, ist offensichtlich. Egoberts Trainingsmethoden sind nichts anderes als Tierquälerei. Offenbar gehören sie zum Standard der Abrichtung der Pferde, über den nicht gerne geredet wird. Die Turnierleitern möchte von den Beobachtungen Lillis und Jesahjas, die Egobert dabei beobachtet haben, wie er Schnees Vorderläufe mit Wärmesalbe eingerieben hat, gar nichts wissen und wiegelt rasch ab. Sicher ist Egobert nicht der einzige Trainer, der Pferden Wärmesalbe auf die Vorderläufe schmiert, um sie schmerzempfindlich zu machen.

 

„Quäle nie ein Tier in Scherz, denn es fühlt genau wie du den Schmerz“, hat man mir als Kind beigebracht. Mag es auch nicht um sadistische Quälerei gehen, so doch darum, das Tier den Ego-Interessen des Menschen unterzuordnen, dem Mann/der Frau, der/die den Turniersieg erringt. Es stellt sich die Frage, wie sich die Menschen verhalten würden, wenn sie, wie Lilli, die Schmerzensschreie der Tiere hören könnten. Würden sie sich dann auch noch an diesen unsinnigen Veranstaltungen erfreuen?

 

Egobert ist in diesem Buch nicht der einzig unrecht Handelnde. Die Autorin führt ihre jungen Leser – und älteren Vorleser – auch in die Welt des Mobbings im Klassenzimmer. Kinder bedrängen Kinder, bestehlen sie, verhöhnen sie, machen ihnen das Leben zur Hölle, weil sie anders sind, anders heißen, nicht die chicksten und teuersten Klamotten tragen. Dass es ausgerechnet Trixi Korks ist, die für Wolke Jansen Partei ergreift, zeigt, dass zur Aufrichtigkeit und Hilfsbereitschaft Mut gehört, über den eigenen Schatten zu springen, die Seiten zu wechseln, weil es auf Dauer doch zu nichts führt, dem anderen weh zu tun.

 

Und Liliane? Sie ist wohl die „wunderzauberhafteste Pferdeflüsterin“, der Pferde und Menschen begegnen können. Sie setzt sich ein für Mensch und Tier und verwandelt im nächtlichen Ritt ausgedörrte Wiesen in ein blühendes Paradiese. Lillis Mutter, die ambitioniert an ihrer Karriere bei einem Fernsehsender arbeitet, ist Lillis Gabe suspekt, und sie findet die Aktionen ihrer Tochter nicht so gut. Die Distanz, die dadurch zwischen Lilli und ihrer Mutter entsteht, schmerzt das Mädchen – und auch den Leser. Doch ist Frau Susewinds Verhalten nicht nachvollziehbar? Das Mädchen lacht – und schon wachsen Blumen! War der Heilige Franziskus, dem ja auch eine innige Beziehung zu Pflanzen und Tieren nachgesagt wird, auch zu derart Wunderbarem in der Lage? Natürlich ist Lilli auch „die positive Nachricht“ an sich – und somit der Fernseh- und Medienwelt, die ihre Mutter repräsentiert, in der „only bad news good news“ sind, vollkommen entgegengesetzt. Dennoch: Das Bild von der zur nächtlichen Stunde auf Merlin reitenden Lilli, die Gras und Blumen durch ihr Lachen – durch ihr Lachen! – zum Wachsen bringt, bleibt. Es ist ein schönes Bild, oder, um mit Merlin zu sprechen: Es ist superherrlichschön! Und es hat eine feine Botschaft: Wir sollten einfach öfter lachen! Vielleicht erblüht in dürrer Umgebung dann auch etwas strahlend Schönes und Lebendiges! Warum sollte aus dem Lebensnahen nicht auch etwas Überwirkliches, aus dem Schmerzhaften nicht etwas zauberhaft Schönes werden! Das ist keine Frage, sondern ein ausdrücklicher Aus(f)ruf.


Copyright Hubertus Tigges 2015

 

Tanya Stewner: Liliane Susewind - So springt man nicht mit Pferden um

Mit Bildern von Eva Schöffmann-Davidov

S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2009, 11. Auflage 2014

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